Als Fatigue wird ein für Patienten sehr belastendes, jedoch sowohl von medizinischen Fachleuten als auch Laien oftmals falsch interpretiertes Krankheitsbild bezeichnet. Die Ursache der Symptomatik ist bislang unbekannt und Gegenstand intensiver aktueller Forschung. Die Diagnostik der Erkrankung ist schwierig, eine adäquate Therapie hängt jedoch aber sehr von einer präzisen Diagnostik ab.
Charakteristisch für Fatigue ist eine pathologische Erschöpfbarkeit, bei der die benötigte Erholung im Verhältnis zur Belastung unverhältnismäßig groß ist.
Die Erschöpfung kann sowohl im physischen als auch im emotionalen und/oder kognitiven Bereich liegen. Auf leichte körperliche Anstrengung kann mehrere Stunden bis Tage andauerndes Unwohlsein folgen. Dieses Phänomen wird als post-exertional malaise oder S.E.I.D. (Systemic Exertion Intolerance Disease) bezeichnet. Selbst „normale“ Aktivitäten des Alltags wie Zähneputzen, Kochen, Telefonieren, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistungen können in Extremfällen als kaum durchführbar empfunden werden.Häufig tritt zudem eine Störung des Kurzzeitgedächtnisses auf. Diese Erschöpfung lässt sich auch durch viel Schlaf nicht beseitigen, sie beeinträchtigt das Leben der Betroffenen nachhaltig, in extremen Fällen bis zur Bettlägerigkeit und Pflegebedürftigkeit. Schlaf wird überdies als wenig erholsam empfunden. Die Erschöpfung führt zu ausgeprägten emotionalen Reaktionen, zum Beispiel Niedergeschlagenheit, Frustration oder Reizbarkeit. Sie reduziert bei vielen betroffenen Patienten die Lebensqualität stärker als alles andere. Sehr häufig wird die Fatigue aber dennoch übersehen.
Von Fatigue abgegrenzt werden müssen Erkrankungen, deren Symptome der Fatigue ähneln. Beispiele hierfür sind Depression, Burn-out, hormonelle Störungen oder Tumorerkrankungen. Die hier entstehenden Symptome können leicht mit Fatigue verwechselt werden, ihnen liegt jedoch eine andere Ätiologie zugrunde. Mit der Therapie der Grunderkrankung bessert sich häufig auch die Erschöpfungssymptomatik.
Fatigue kann als Begleitsymptom anderer Erkrankungen auftreten. Zu diesen Krankheiten zählen Tumorerkrankungen, Multiple Sklerose, Autoimmunerkrankungen wie Rheuma o.a., das obstruktive Schlafapnoesyndrom, Nährstoffmangel, hormonelle Störungen, Herzinsuffizienz, Blutarmut, chronische Infektionen, chronische Leber- oder Niereninsuffizienz und andere. Da die Fatigue häufig sogar als erstes Symptom auftritt, bietet eine solide Diagnostik hier eine Chance auf die oft so wichtige zeitnahe Therapie der Grunderkrankung. Dies gilt insbesondere bei Tumorerkrankungen.
Davon abzugrenzen ist eine durch eine medikamentöse Therapie ausgelöste Fatigue, die therapieassoziierte Fatigue.
Tritt Fatigue als isoliertes Symptom auf, handelt es sich um eine eigenständige Erkrankung, die in der internationalen Klassifikation der Krankheiten in der Version von 2019 (ICD-10) als chronisches Erschöpfungssyndrom (Chronic Fatigue Syndrome/Myalgic Encephalomyelitis - CFS/ME) eingeordnet ist. Diese Sonderform der Fatigue geht oft mit wiederkehrenden grippeähnlichen Symptomen, Kopf- und Gliederschmerzen sowie Muskelschmerzen einher. Die Prävalenz beträgt etwa 0,2-0,4% der Bevölkerung, Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen als Männer. Bisher sind keine auslösenden oder Risikofaktoren für das CFS bekannt. Die Symptome sind jedoch keinesfalls Ausdruck einer psychiatrischen Störung, beispielsweise einer Depression oder einer Somatisierungsstörung.
Hier muss zwischen den wichtigsten Fatigue-Subtypen unterschieden werden.
Zwischen 60 und 80% aller Tumorpatienten leiden unter Fatigue. Diese ist aber nicht abhängig vom Stadium der Tumorerkrankung oder der Intensität einer Chemotherapie und bleibt bei den meisten dieser Patienten nach Abschluss der Therapie oder sogar nach Heilung der Erkrankung bestehen. Sie ist bereits bei Diagnosestellung der subjektiv belastendste Faktor der Erkrankung und bleibt auch nach der Therapie ein weiterhin sehr belastender Faktor im Leben dieser Patienten.
Ähnliches gilt für Patienten mit Autoimmunerkrankungen wie Rheuma, hier sind etwa 60% aller Patienten betroffen, beim primären Sjögren-Syndrom sogar nahezu 100%.
Vom chronischen Erschöpfungssyndrom sind je nach Quelle zwischen 0,6 und 3% der Bevölkerung betroffen, es handelt sich demzufolge um eine häufige Erkrankung. Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer, Afro-Amerikaner haben ein etwa 3fach erhöhtes Risiko. Das mittlere Erkrankungsalter des chronischen Erschöpfungssyndroms liegt zwischen 25 und 40 Jahren, was nicht nur dramatische Folgen für das Leben der Betroffenen hat, sondern auch eine volkswirtschaftliche Tragweite.
Wenn Fatigue als Folge einer internistischen, neurologischen oder psychiatrischen Erkrankung auftritt, so ist sie durch diese bedingt und häufig auch gemeinsam mit dieser Grunderkrankung therapierbar – wenn die initialen Beschwerden ernst genommen wurden und die zugrunde liegende Erkrankung korrekt diagnostiziert wurde.
Die Entstehung der Tumorfatigue, der Rheuma- und MS-Fatigue sowie des chronischen Erschöpfungssyndroms ist ungeklärt und ist Gegenstand intensiver, internationaler Forschung. Viel ist bereits über die Auslöser der Erkrankungen geforscht worden, bisher ohne schlüssige Ergebnisse.
Aktuell werden mehrere mögliche Auslöser diskutiert, darunter subklinische chronische Entzündungen: Das Immunsystem ist der größte „variable“ Energieverbraucher im Körper. Eine Mutation in einem Gen der natürlichen Killerzellen spielt in der Pathogenese möglicherweise eine Rolle (das Lymphozyten regulierende KIR–HLA System). Am UKS stehen neben diesem Gen auch Störungen im molekularen Lipidstoffwechsel im Fokus der Untersuchungen. Lipide befinden sich an Schlüsselpositionen im intrazellulären Energiestoffwechsel, sind jedoch bislang kaum erforscht. Am UKS befindet sich eines der wenigen hierauf spezialisierten Forschungslabore.
Die Diagnostik der Fatigue ist schwierig, da es keine apparativ messbaren Parameter gibt, die die Diagnose einer Fatigue ergeben. Die Suche nach Laborwerten, radiologischen oder anderen Befunden der evidenzbasierten Medizin für die Diagnostik der Fatigue dauert noch an. Insbesondere das chronische Erschöpfungssyndrom ist eine Ausschlussdiagnose. Das Burn-Out Syndrom ist eine wichtige Differentialdiagnose, es handelt sich jedoch um ein vollständig anderes Krankheitsbild, das sich hinsichtlich der Krankheitsentstehung stark von der Fatigue unterscheidet. Diese Unterscheidung ist wichtig, um eine Therapie eines Burn-Out nicht zu verzögern. Ebenso müssen differentialdiagnostisch Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik ausgeschlossen oder abgegrenzt werden, z. B. Depression, internistische Erkrankungen, hormonelle Störungen oder Tumorerkrankungen.
Patienten mit Fatigue sind nicht nur durch die Erkrankung selbst sehr belastet, sondern häufig auch durch das Fehlen einer Diagnose und der Anerkennung als „echte“ Erkrankung im sozialen und beruflichen Umfeld. Oft hat ihr Leiden keine Diagnose, keinen „Namen“. Die Nichtanerkennung der Erkrankung als solche durch Ärzte oder das soziale Umfeld ist ein wichtiger krankheitsunterhaltender Faktor, der bei Patienten zu einer Abwärtsspirale führten kann.
Aufgrund dieser Situation und des Mangels an kompetenten ärztlichen Ansprechpartnern wenden sich viele Patienten an Anbietern bestenfalls dubioser, schlechtestenfalls schädlicher Therapien, da sie innerhalb des Gesundheitssystems nur selten geeignete Diagnostik oder Therapieempfehlungen erhalten.
Daher ist es umso wichtiger, Patienten dieser epidemiologisch wichtigen Erkrankungen kompetente ärztliche Ansprechpartner anzubieten.
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